23 - Cabo Verde
Rundherum Wasser – nur Wasser
Wir verlassen Europa und segeln neben Afrika Richtung Süd/Südwest. Es wird uns richtig bewusst, dass uns eine andere Mentalität, andere Menschen und Kultur erwartet. Allein der Weg von knapp 800 Seemeilen – das sind rund 1500 Kilometern (1 Seemeile = 1,852 km) macht dies ziemlich deutlich. Auch die Temperatur steigt, es wird immer wärmer.
Die Überfahrt startet sehr angenehm mit sanften Wellen und kaum Wind. Das ist gut so, denn wir wollen das Fortwärtskommen ja auch geniessen. Unser Aufenthalt auf El Hierro dauerte ungefähr zwei Wochen und nun sind wir die unruhige See nicht mehr so gewohnt. Wir beide, Ruedi und ich, werden nicht seekrank. Ich habe lediglich am Anfang Bauchweh, dies legt sich nach einem Tag und alles ist wieder in Ordnung. Aber die Schiffsbewegungen sind auf Dauer,wenn es zu heftig wird, nicht so vergnüglich.
PASITO gleitet dahin, es macht Spass. Die Bewölkung erinnert schon an die Passatzone, kleine helle Wolken wie Schafe oder Dampf-Lokomotivwolken. Die Meerestiere sind am Anfang nicht gewillt sich zu zeigen. Später kommt mal eine Gruppe Delfine vorbei und vergnügt sich in unserer schäumenden Bugwelle.
Dafür haben wir in der dritten Nacht ein lustiges Erlebnis: Die fliegenden Fische. Sie sind nicht gross, aber lebensmüde. Es kommt mir vor, als würden sich Teenager-Fische einen Sport daraus machen – «Catch the boat». Sie springen Richtung Schiff, als wollen sie auf den fahrenden Zug raufspringen. Immer wieder gelingt es einem und er landet auf Deck. Wenn er Glück hat, wird er bei Schräglage von den Wellen zurück ins dunkle Meer gespült. Andere landen mit einem riesigen Platscher mitten im Cockpit und Chris erschreckt sich höllisch. Alle Haare stehen in sekundenschnelle zu Berge, bis ich realisiere: fliegender Fisch gelandet! Dann nehme ich mir irgendein Ding zu Hilfe und bugsiere den Fisch wieder ins Wasser. Oder ich höre es bumsen – der Fisch hat beim Landeversuch das Dinghy getroffen…. Es ist wirklich lustig. Ruedi hat fliegende Fische ja schon erlebt, aber diese Nacht war wirklich heftig, sie haben uns regelrecht torpediert. Warum? Keine Ahnung.
Die schwarze Nacht hat auf uns eine unbeschreibliche Faszination. Du sitzt als Wache im Cockpit, möchtest die Zeit mit etwas lesen vertreiben und legst das Buch nach ein paar Seiten wieder weg. Es ist viel spannender in die Schwärze zu gucken, dabei dem Rauschen der anrollenden Wellen zu lauschen und den aufkommenden Gedanken Raum zum Ausbreiten zu geben. Ich werde nicht mal müde davon. Sicher, es ist nicht jede Nachtwache so. Manchmal tritt man seine Schicht an und bekommt – aus dem Tiefschlaf gerissen – die Augen fast nicht auf. Dann hilft nicht mal ein Red Bull. Jetzt heisst es einfach durchstehen. Wir habe uns den Rhythmus von 3 Stunden gewählt. Nicht zu lang und doch genug, damit der andere eine Mütze Schlaf tanken kann.
Der Himmel mit unzähligen Sternen, ab und zu eine fallende Sternschnuppe, und in unserem Fall der abnehmende Vollmond machen die Nacht ebenfalls zu einem besonderen Erlebnis. Wenn der Mond aufgeht, sieht es aus,als würde er sich sanft aus den Wellen lösen und hoch in den Himmel hüpfen. Er ist gross, sieht aus wie ein Mandarinenschnitz und ist am Anfang auch so orange. Je höher er steigt, um so blasser und heller wird er. Irgendwann kommt sein Schein auf das Wasser und erhellt die Nacht. Wow! Wir nehmen alles sehr intensiv auf –wir haben ja Zeit dafür.
Alltägliche Erledigung während es schaukelt
Das Alltagsleben bei einer Überfahrt muss sich erst einstellen. Alles ist mühsamer als im Hafen oder vor Anker. Die Körperhygiene wird nur gepflegt, wenn es der Seegang auch zulässt! Am Anfang bei leichten Wellen, können wir noch locker draussen im Cockpit duschen. Aber bei stärkeren Wellen ist dies zu gefährlich. Jeden Tag duschen ist auch zu anstrengend! Es gibt noch die Katzenwäsche– die tut es auch.
Kochen – auch so ein Thema. Ich habe so viel wie möglich vorgekocht. Ziel: mit wenig Aufwand eine Menü servieren. Wetter ist unberechenbar, trotz Vorhersagen. Deshalb muss jedes Menü im Notfall auch kalt geniessbar sein. Wir haben Glück und ich kann hantieren wie wir es möchten. Erst gegen Ende der Reise wird es unangenehmer mit Kochen. Unser Herd ist halb-kardanisch aufgehängt, so dass die Kochfläche auch bei Welle immer parallel bleibt. In unserem Fall ist er in Längsrichtung an zwei Punkten fixiert und schwingt dann bei Welle hin und her. Das ist praktisch (und wichtig).
Im Salon haben wir ein Bett eingerichtet mit Leesegel. Dieses schützt uns, damit wir bei Wellengang nicht auf dem Boden landen. Schlafen ist aber ein spezielles Thema. Oben im Cockpit hörst du vor allem das Rauschen der rollenden und schäumenden Wellen. Unten im Schiffsbauch, da knarzt der Rumpf und das Holz und das Wasser unter dem Schiff rauscht wie wild. Dazu klappert das Geschirr auch nach gut durchdachter Polsterung immer wieder. Das ist laut – versuche da mal ein Auge zuzumachen und in den nötigen Tiefschlaf zu fallen! Hä?
Ja, es gibt Oropax. Helfen ja. Aber nur ein bisschen. Schafe zählen auch – oder ach ja, die landenden fliegenden Fische….
Ferngesteuert zur Ankerbucht
Nach 5 Tagen bemerken wir um 21:30 h Land in Sicht. Eigentlich ist es nicht so günstig, im Dunkeln in eine Bucht zu fahren, die wir nicht kennen. Aber wir haben keine andere Wahl. Einfach bremsen geht nicht, wir haben zwar unsere Segelfläche schon lange reduziert, aber der immer stärker werdende Wind, die Strömung und die heftigen Wellen schieben uns schnell vorwärts. Also stellen wir uns auf dieses spezielle Manöver ein. Wir haben die Karten studiert und diskutiert, worauf wir alles achten müssen und wie wir es angehen.
So bleibe ich im Niedergang sitzen, damit ich auf den Laptop mit dem Open-CPN mit GPS-Mouse gucken kann. Die Position des Schiffes wird dort ganz genau angezeigt. Den Track, die geplante Route, haben wir im Vorfeld eingezeichnet. Ich bin somit das erweiterte Auge zum Steuern des Schiffes. Ruedi ist am Ruder und manövriert nach meinen Anweisungen das Schiff. Unheimlich. So im Dunkeln mit viel Wind und Wellen, in unbekanntem Gebiet vorwärts zu rauschen! Rechts eine kleine Felseninsel mit Leuchtturm, links das Ufer der Insel Sao Vicente. Dann um die Kurve nach links und uns begrüssen ganz viele Lichter an Land. Welche sind nun die blinkenden Zeichen, die uns den Weg deuten?Es geht alles gut. Wir finden den Weg und das Ankergebiet. Nach kurzer Zeit haben wir den Anker unten, räumen leicht etwas auf. Trotz der starken Müdigkeit und Erschöpfung gönnen wir uns noch ein Anker-Bier. Dann ab ins Bett und nur noch schlafen…
Oha, Ruedi wird nach einer Stunde plötzlich wach. Er bemerkt, dass wir nicht mehr am gleichen Ort wie beim Ankern sind. Sofort Motor starten und nachschauen, was da los ist! Wir sind auf Drift gegangen. Das heisst, unser Anker ist auf dem Grund dahin getrieben, wir sind ca. 200 m weiter hinten. Noch weiter hinten liegt ein Wrack!!! Gerade rechtzeitig können wir unser Malheur wiederkorrigieren. Ufffff!!!! Das ist uns noch nie passiert. Also, trotz Müdigkeit immer konzentriert arbeiten. Wir haben zu wenig Ankerkette rausgelassen und der Anker hat sich nicht richtig eingegraben. Und bei diesen heftigen Windböen wäre dies wichtig gewesen. Glück gehabt.
«Konzentriertes Arbeiten ist wichtig. Was du auch machst, mach es richtig.»
Einklarieren in Cabo Verde
Am nächsten Morgen können wir uns endlich anschauen, wo wir gelandet sind. Schön ist die Bucht. Wir schauen direkt auf die Stadt Mindelo mit seinen kantigen kargen Bergen im Hintergrund.
Gleich noch gestern Nacht haben wir unter der Steuerbordsaling die gelbe Flagge(Q = Quarantäne) und die Flagge von Kap Verde (Gastland) aufgehängt. Nun machen wir unser Dinghy bereit und fahren an Land. Zum Einklarieren müssen wir zuerst zur Polizei/Immigration und anschliessend zum Zoll. Jeweils ein Formular ausfüllen und Stempel in den Pass holen. Jetzt sind wir hier angemeldet. Dies ist ein Prozedere, welches wir nun bei jeder neuen Insel resp. Land machen müssen. Auf dem Schiff können wir nun die gelbe Flagge runternehmen.
Etwas Geschichte
Der erste Rundgang durch Mindelo verzaubert uns sogleich. Die Menschen sind alle dunkelhäutig, feingliedrig und schön. Wir sehen viele junge Menschen oder auch ältere Männer, die irgendwo in Gruppen rumsitzen und diskutieren. Irgendwie sehen alle so beschäftigt aus. Die Armut ist hier aber schon sichtbar. Wir werden auch immer wieder mal angesprochen auf Geld oder etwas kaufen. Wenn ich so mitten durch diese Menschenansammlungen laufe, werde ich direkt angeschaut und als ich sie anlächle und grüsse, kommt gleich ein feines Lächeln und Gruss zurück. Sehr sympathisch.
Cabo Verde ist anders. Aber ich spüre hier einen gewissen Stolz und eine starke Lebensfreude. Die Menschen reden viel und relativ laut, sie lachen und gestikulieren viel. Es ist eine Freude, sie zu beobachten. Wir entdecken auch gleich eine Wandmalerei, die Cesária Evora darstellt. Als Königin des Morna war sie die bekannteste Sängerin von Cabo Verde. Morna ist ein Musikstil, der in den ehemaligen portugiesischen Kolonien entstand; ein Mix aus Blues, lateinamerikanischen Rhythmen und Anklänge des Fado aus Portugal. Die Sprache der Lieder von Cesária Evora ist das kapverdische Kreol ihrer Heimat. Sie ist ein Symbol für Cabo Verde geworden und sehr präsent hier. Ihre temperamentvolle Stimme und ihre Auftritte, die sie immer barfuss machte (sie wurde auch «barfüssige Diva» genannt), zog die Menschen in ihren Bann. Sie wurde weltberühmt und starb 2011 in ihrer Heimat in Mindelo. Mit Peter Maffay hat sie auch ein Lied aufgenommen. Ihren Song «Sodade» müsst ihr euch unbedingt anhören: https://www.youtube.com/watch?v=ERYY8GJ-i0I
Die Kabverdianer haben in ihrer Geschichte schon einiges erlebt. Entdeckung und Besiedlung durch die Portugiesen. Wiederholte Einwanderungswellen aus Portugal und Madeira. Starker wirtschaftlicher Einfluss der Engländer. Emigration durch Hungerkatastrophen. Sklavenhandel. Salzhandel. Kohlehandel (Dampfschifffahrt). Transatlantische Unterseekabel…
Am 5. Juli 1975 wurde die Unabhängigkeit der República de Cabo Verde ausgerufen.
Mindelo ist mit seiner Altstadt im Kolonialstil des 19. Jahrhundert britisch und mediterran geprägt. Viele alte Gebäude deuten auf glorreichere Zeiten hin. Heute sind jedoch die meisten ziemlich baufällig. Schade, dies hat aber auch grossen Charme. Überall gibt es kleine Restaurants und Bars zum Entdecken. Viele Frauen bieten ihre Waren wie Süssigkeiten, Gemüse und Früchte am Strassenrand sitzend an. Ihre kleinen Kinder spielen daneben ganz selbstverständlich mit ihren Spielsachen. Die Menschen hier (angeblich ca. 60 %) werden von Familienmitgliedern finanziell unterstützt, welche in fremden Ländern leben und ihr Geld dort verdienen.
Hier wird portugiesisch und kreolisch gesprochen. Allerdings kommt man mit Französisch und Englisch auch gut durch.
Wir gehen die Tage langsam an, versuchen unsere müden Knochen wieder zu regenerieren. Wenn wir an Land laufen, schaukelt es noch heftig. Es wird einem richtig Sturm! Wir müssen uns an den festen Boden erst wieder gewöhnen.
Vorerst bleiben wir vor Anker. Genug Wasser haben wir noch an Bord und Strom sowieso. Neben uns liegen noch ein paar weiter Boote hier. Ein Boot kennen wir, die SY MALOK. Mit Anne und Nick verbringen wir lustige Stunden.
Dies ist mal ein erster Eindruck mit viel Text.
Im nächsten Beitrag kommen dann wieder mehr Bilder. 😊